the rain is part of us

Jetzt sind wir wieder am Rad unterwegs und alles ist wie bei sonstigen Radurlauben auch. Wir kommen in unseren normalen Rhythmus: Aufstehen, frühstücken, Lunchpaket machen (es gibt keine Dörfer zwischendrin wo man mittagessen könnte), zusammenpacken, losfahren. Dann ankommen, duschen, essen gehen, schlafen gehen. Wunderbar, wären da nicht ein paar Probleme aufgetaucht.

Motivierter Start in Villa Cerro Castillo
Noch hält das Wetter…
… und wir sind frohgemut
Selbst kleine Pannen sind schnell vergessen (sogar 2 platte Reifen an einem Tag)

Also zuerst einmal wurde ich beim Radfahren von einem Hund in den Knöchel gebissen. Nicht so schlimm, der Hund war nicht so groß aber ich hab ihn kurz am Rad mitgeschliffen bevor er losgelassen hat und es hat ordentlich geblutet. Jetzt gibt es in Chile sehr selten Tollwut bei Hunden aber manchmal halt schon und es wäre peinlich an so etwas Vermeidbarem einzugehen, daher war klar, dass ich Auffrischimpfungen brauche (grundimmunisiert bin ich schon). Drei Tage später (während sich die hypothetischen Tollwutviren am Knöchel einen Nerv suchen und langsam Richtung Rückenmark wandern) kamen wir in die große Stadt Coyhaique und es begann das lustige Spiel: Verstehe-ein-fremdes-Gesundheitssystem-und-finde-dich-darin-zurecht. Wir haben auf Schwierigkeitsstufe 7/10 gespielt, da spricht man die Sprache nicht ausreichend.

Vacunacion contra la rabia: 7/10

Wir sind also vom einen Ende der Stadt ins andere gerannt/gefahren, haben Apotheken, Notaufnahmen, Arztpraxen und Impfambulanzen von innen gesehen und immer wollte jemand irgendeinen Schein oder ein Dokument von jemand anderem, manchmal gab es auch einfach kein Personal. Eine Dame hat uns zur COVID-Impfung weitergeschickt, weil sie dachte, dass das die einzig interessante Impfung sei. Nach zwei Tagen hatten wir Erfolg und die nette Ärztin der Ambulanz konnte sogar Deutsch. Ich habe also (etwas verspätet) meine Tollwutimpfung gekriegt und freue mich schon darauf, in drei Tagen in einem 1.200 Einwohnerdorf die nächste Dosis aufzutreiben.
Und nein, wir dürfen die zweite Dosis nicht zur Selbstimpfung mitnehmen, die muss „im System eingetragen“ werden…

Verspätet durch die Impfstoffsuche begann dann unsere Weiterreise gen Norden. Inzwischen hat sich ein mächtiges Tiefdruckgebiet über Patagonien gelegt und Regen sowie starken (Gegen-)wind mit sich gebracht. Sowas kann die Motivation ein bisschen einschränken. Irgendwo im Nirgendwo hatte Lena eine Farm gefunden, die vielleicht (?) Gäste aufnimmt und vollkommen erschöpft kamen wir schließlich auf dem paradiesisch gelegenen Gelände an. Der verdutzte Farmer erklärt uns in perfektem Englisch, dass man in seinem Haus eigentlich nur im Rahmen einer Angeltour wohnen könne, die er für gut betuchte Gäste anbietet, wir könnten aber für zweihundert Dollar bleiben. Es beginnt ein kurzes aber intensives Feilschen und schließlich übernachten wir für etwa einhundert Dollar ohne Frühstück (am Ende gibts dann doch Frühstück, abends bereitet uns der Koch des Hauses sogar unsere mitgebrachten Nudeln mit Fertigtomatensauce zu). Pancho (so heißt der Farmer) erzählt uns bei einem Bier Geschichten aus der Gegend, er lebt hier seit fünfunddreißig Jahren mit allem, was es so an Nutztieren gibt.

Der Blick von Panchos Farm
Und das Anwesen selbst

Das Anwesen ist traumhaft, Panchos 35 Pferde laufen frei auf dem Gelände herum, Schweine grunzen am einen Ende der Farm, Gänse gackern am anderen. Ach ja: Vor zwei Tagen kam ein Puma und hat ein paar Schafe erledigt, daher sieht man jetzt überall Hunde auf Schafskeletten rumkauen. Eine der kauenden Hündinnen hatte grade geworfen und darum liegt vor der Terasse des großen Wohnzimmers ein Haufen (und zwar wirklich Haufen) Welpen herum mit denen wir spielen können und von denen wir gerne alle zehn mitnehmen würden. Auf das schlechte Wetter angesprochen entgegnet Pancho „The rain belongs to us“ und erklärt, dass seine Farm im Jahr dreitausend Millimeter Regen abkriegt. Warum machen wir nochmal Urlaub in Patagonien?

Die zwei nehmen wir mit
Mit Hundehaufen
Und das machen sie wenn sie groß sind

Inzwischen sind wir einige Tage im Sauwetter unterwegs und es gibt keine Anzeichen für Besserung. Nur noch selten schaut die Sonne für einige Minuten zwischen den Wolken durch und es wurde kälter. Zu allem Überfluss hatte Lena auch noch einen eitrigen Abszess an einer Wunde, die sie sich bei einem Sturz im Torres del Paine Park zugezogen hatte. Auf dem nächsten Campingplatz kam also das Wundversorgungsequipment in der Küche zum Einsatz (danke an PW dafür!) um das Ganze örtlich zu betäuben, zu öffnen und zu spülen, inzwischen ist die Entzündung nicht mehr da und die Verletzung beginnt zu heilen.

Es waren alle ein bisschen erstaunt über unser Operationsequipment. Seltsamerweise.

Gestern stand eine Passüberquerung an (natürlich bei 3 Grad über Schotter-/Schlammstraßen und in strömendem Regen) und wir mussten mal wieder fernab der Zivilisation eine Unterkunft suchen. Lena hatte die Telefonnummer eines „Refugios“ also einer Unterkunft gefunden und der Besitzerin auf WhatsApp geschrieben. Dazu sollte man sagen, dass ganz Chile nur über WhatsApp funktioniert. Hotel- und Mietwagenbuchungen, offizielle Behördenkommunikation und privater Kontakt werden ausschließlich über den Messengerdienst abgewickelt. Abends kamen wir also durchnässt an der herbeigesehnten Unterkunft an und staunten: Da führte ein schlammiger Pfad den Berg hoch in den Wald. Neben dem Weg lagen abgestürzte Baumhäuser und modrige Hütten aber entgegen allen Erwartungen lebt hier jemand. N, offensichtlich die Besitzerin des Etablissements, begrüßte uns auf eine Art, die wirkte, als hätte sie seit Monaten mit keiner Menschenseele gesprochen. Vollkommen begeistert stapfte sie weiter den bewaldeten Hang hinauf und zeigte uns unsere Hütte. Vorsichtig auf Warmwasser angesprochen antwortete N verneinend, auch Strom und Internet gäbe es keines, wir sollen uns doch bitte „mit der Natur verbinden anstatt mit dem WLAN“… Außerdem führte N durchgehend Selbstgespräche und untermalte ihr Gesagtes mit ausladenden Gesten.

Arg motiviert. Aber es gibt Kolibris hier.
Auf dem Pass, durchnässt bis auf die Haut
Man will nichtmal zum Essen stehen bleiben
Wäh.
Das Refugio im Wald, idyllisch auf den 1. Blick

Nach einer kalten Dusche begab ich mich auf Brennholzsuche. Tief im Wald lag ein von N beschriebener Stapel unter einer Folie. Das meiste Holz war leider verschimmelt oder bestand aus mehr Maden als Zellulose. Irgendwie haben Lena und ich den Ofen in der Küchenhütte trotzdem befeuert bekommen und kochten darauf unser Abendessen. Bei Kerzenlicht, im Trockenen und mit der Hitze des Feuers war es dann eigentlich halbwegs gemütlich, bis jemand draußen im fast dunklen Wald eine Kettensäge anließ. Etwas beunruhigt hielten wir Nachschau: Das war N, die jubelnd und schreiend einen Baum zerlegte und versprach, dass sie gleich fertig sei. In dieser Nacht schliefen Lena und ich nur unruhig und wir freuten uns auf das warme Bett in der nächsten Unterkunft.

Wäsche trocknen über dem Holzofen und die Erfindungen des 19. Jahrhunderts (Strom, primär) gar nicht sooo schlecht finden
Kochen auf dem Holzofen… Das Bild schaut nach deutlich mehr Instagramkomfort aus, als es war
Unser Schlafplatz, an dem wir vor dem Schlafen aus Trotz gegen die Natur auf unserem Tablet eine Netflixdoku über Spaceshuttles schauen
Schlammschlachtaufstieg, das orangene ist unser „Haus“

Laut Wetterbericht wird der Regen nicht weniger werden sondern sich eher verstärken. Wir denken nun darüber nach, einen weiteren Teil der geplanten Route mit dem Bus zurückzulegen und die Fahrt im Norden fortzusetzen.

Wenn’s ganz unerträglich wird kann man, erwiesenermaßen, auch ein paar Kilometer Autostoppen
Parfümerie in Villa Mañihuales, man kann mit Karte zahlen.
Mittagessen: Chips und Pfirsiche
Die kennen wir schon vom letzten Mal, die gute alte Puente Helmut Hopperdietzel, siehe HIER
Große Ziele, schaun wir mal wie weit wir kommen…

3 responses for the rain is part of us

  1. Daniel sagt:

    Holy moly, da hab ich mich ja wirklich genau rechtzeitig abgeseilt von euch!
    Tapfer seid ihr, dass ihr das so mit macht.

    Ich drücke auch die Daumen, dass die Wettergötter es gnädig mit euch meinen und ihr mehr Sonne als Regen abbekommt.

  2. Susi sagt:

    Ach du meine Güte! Ihr seid wirklich tapfer! Das ist ja reality TV Serien reif! Wünsche auch viel Sonne und Strom (und weniger Verletzungen). 🧡

  3. Mamiiiii sagt:

    Mir wird schon kalt, wenn ich diesen Text lese. Außerdem kann ich diesen Geruch von nass angeheiztem Holz förmlich riechen.Ich lege mich jetzt lieber in meine warme Badewanne, denke ganz fest an euch. Verwende gut riechende Seife und genieße im Anschluss ein Gläschen Rotwein unter der wunderbar kuscheligen Decke von eurem letzten Roadtrip. Leni, David ihr wisst ja trotz aller Strapazen und Hindernisse wie ihr eure gute Laune aufrecht erhalten könnt.
    In diesem Sinne weiterhin viele Abenteuer auf jeglichen Straßenbelägen dieses Universums.
    ganz, ganz viele Bussis aus dem Himmelreich schickt Mami