weder vinschgau noch aldiana

Auf dem Glaciar Exploradores

Immer wenn es richtig zäh wird fangen David und ich an, von All Inclusive Urlaub zu fantasieren. In einer Liege am türkisen Pool Cocktails schlürfen nachdem man seine Vormittagsmassage und das Frühstücksbuffett restlos ausgekostet hat. Nach unserem ersten Radtag wurde das Träumen vom Aldiana Club (der all das beinhaltet) sogar reduziert auf die perfekten Radwege im nördlichen Südtirol. Die Straßen sind hier nämlich so mies, dass ich freiwillig meinen kleinen Zeh opfern würde für ein bisschen ordentlichen Asphalt.

Frohgemut sind wir in Cochrane gestartet, bei wundervollem Spätsommerwetter ohne Wind. Sehr schnell fangen wir aber an zu realisieren, was es denn eigentlich bedeutet, die Carretera Austral mit dem Rad entlang zu fahren. David fasst es schön als „ein kontinuierliches Level an Besch*****heit“ zusammen. Und bei aller Liebe für die endlos schöne uns umgebende Landschaft, die Tatsache, dass wir gerne Urlaub an den hinterletzten Ecken der Welt machen und Abenteuer mögen: Er trifft es auf den Punkt.

Der motivierte Start in Cochrane
Auch nach ein paar Kilometern noch idyllisch

Die Straße besteht aus mal mehr, mal weniger tiefem sandigen Schotter und geht konstant bergauf oder bergab. Wenn es bergauf geht ist es oft so steil oder der Schotter so tief, dass man nicht fahren kann sondern schieben muss, wenn es bergab geht dann nur mit konstant beidseitig gezogenen Bremsen um nicht wegzurutschen. Zudem ist die Straße durchzogen von etwa 15cm tiefen Rillen mit kleiner Wellenlänge, die quer zur Fahrtrichtung verlaufen. Für alle, die möchten, dass ihr Gepäckträger noch ein paar Wochen lebt bedeutet das: Schritttempo. Und selbst dann muss man sich durchgehend auf den Untergrund konzentrieren, alles wird durchgeschüttelt, abends müssen sämtliche Schrauben nachgezogen werden und die Handgelenke sind kaum noch spürbar. Wenn es dann wundersamerweise einmal für einen Kilometer weder schüttelig noch bergauf noch schotterversinkend ist, erinnert einen der Gegenwind daran, dass Radfahren hier wirklich nur für ein bisschen Wahnsinnige ist.

Holper holper
Die Wellblechpiste
Ganz viel Motivation…

Am ersten Tag schaffen wir in acht Stunden Fahrtzeit gerademal 55km – das entspricht nichteinmal der Hälfte dessen, was wir auf normalen Straßen zurücklegen würden. Wohlgemerkt, es geht auch 1300hm bergauf und am Abend brennen unsere Beine, Lungen und Augen. Achja, zu letzterem: Es düsen alle paar Minuten Autos in verschiedenen Größen an einem vorbei und hinterlassen einen als ein in mehrere Schichten Sonnencreme und Staub paniertes Schnitzel. Gottseidank kann man immer wieder in vorbeifließenden, azurblauen, eiskalten Flüssen baden um die 2cm Pfui-Schicht abzuwaschen.

Meistens tragen wir Maske wenn Autos an uns vorbeifahren

Irgendwie haben wir übrigens trotzdem Spaß. Ich weiß, das klingt als wäre es echt das Letzte, was man mit seiner freien Zeit anfangen möchte aber wenn ich so an den Cocktail am Pool denke glaube ich, würde uns da auch langweilig werden. Hier gibt es wenigstens etwas, worüber wir schimpfen können und uns schließlich in Straßengrabenpausen in Lachkrämpfen über unsere Abenteuerlust lustig machen.

Aber wenns doch so schön ist…

Nach viel Fluchen kommen wir dann doch nach Puerto Rio Tranquilo und machen am nächsten Tag eine Gletscherwanderung (die Geschichte, wie wir dazu gekommen sind besteht übrigens auch aus Kontakten über drei Ecken, mehreren spanischen Telefonaten, einer Geldüberweisung an jemand Unbekannten und schließlich tatsächlich einem Bus, der uns um 6 Uhr morgens abholt. Manchmal bin ich selbst ganz erstaunt, dass wir nie übers Ohr gehauen werden). Die Wanderung ist wunderbar, wir sind nur zu viert, außerdem die Ersten am Gletscher und haben eine irrsinnig liebe Tourguidin. Die Touren werden hier übrigens fast nur von Frauen geleitet. Wir bekommen einen fertig gepackten Rucksack mit Jause in Tupperboxen und Ausrüstung in die Hand gedrückt und klettern wenig später mit Steigeisen und Helm bewaffnet durch Eishöhlen, erklimmen Eishügel, hüpfen über Gletscherspalten und lernen, dass der Gletscher hier während diesem Sommer um etwa 12m abgeschmolzen ist. Unwiderruflich, wohlgemerkt, da es hier unten nie schneit. An einer Stange, die aus dem Eis herausragt kann man sehen, wieviel das ist und wir sind schockiert ob der Tatsache, dass es in ein paar Jahren hier kein Gletschereis mehr geben wird.

In einer Eishöhle
Tiefkühldavid
Beim Spaltenüberschreiten
Ein etwas größeres Exemplar
Tiefkühllena
Wassergefüllte Gletscherspalten
Ist da noch Eis unter dem Wasser?
Nicht abrutschen
Let it goooo!
Call me Rafiki
Steine, die auf dem Eis liegen, werden von der Sonne heiß und graben sich dann in den Gletscher ein
Unser Exkursionstrupp
Am Anfang des Sommers war der gesamte blaue Stab noch im Eis

Tags darauf beginnt eine Woche Regenwetter und die Carretera Austral verwandelt sich in ein Schlammbad, was uns dazu verleitet, den Bus zu nehmen. Die Busse sind aber, wie immer, voll und erst der dritte Busfahrer lässt sich mit viel Geld und einer guten Portion Verzweiflung überreden, uns hundert Kilometer mitzunehmen. Die drei Stunden Busfahrt verbringen wir in Sorge um unsere Räder, die im Gepäckraum durchgeschüttelt werden, letztendlich aber außer ein paar Kratzern unversehrt wegkommen.

Jaja, es lebe das Abenteuer…

Wir sorgen uns so um die Räder, weil die generell nicht ganz geschaffen für die Bedingungen hier zu sein scheinen: Gleich an Tag 2 ist meine Kette gerissen und eine wichtige Schraube meines Gepäckträgers verloren gegangen. Alles konnte man (partiell mit Kabelbinder, von dem aber eh alle wissen, dass er die Welt im Innersten zusammenhält) reparieren. Wenn es allerdings in der Frequenz mit Schäden weitergeht, muss ich ab kommender Woche zu Fuß gehen …

Pannenhilfe

4 responses for weder vinschgau noch aldiana

  1. Mami sagt:

    Es amüsiert mich, den Text zu lesen, weil es so witzig geschrieben ist. Aber Leni du tust mir schon auch ein bischen leid. Aber der Gletscher ist echt HAMMER

  2. Susi sagt:

    Die Gletscherfotos sind unfassbar schön! Ich hoffe, ihr kommt gut weiter!

  3. Daniel sagt:

    Also bei den Gletscherfotos Ärger ich mich echt ein wenig, dass wir das nicht gemeinsam geschafft haben. Aber es beruhigt mich, dass ihr neben der ganzen Anstrengung und den Strapazen auch so schöne Sachen erlebt 🙂

  4. Hallo meine liebe Lena, sind sonst noch Radfahrer unterwegs, außer euch Beiden (ein wenig verrückt seid ihr schon, euch das alles anzutun). Aber deshalb bewundere ich euch ja so seht. Ich habe in meiner Jugend von nicht annähernd so verrückten Sachen, (aber doch etwas ausgefallenen) nur geträumt, wahrlich nur geträumt, getraut hätte ich mich gar nichts. (Feigling wie ich war). Wenn ich mal über eine schmale Gletscherspalte gehen müßte, würde ich vor lauter Angst 100 %ig hineinfallen. Aber wenigsten war ich nicht so blöd, wie eine Jugendfreundin , die ständig, wenn sie filmte, die Kamera verkehrt herum gehalten hatte. Jedesmal mußte deren Mann sie darauf aufmerksam machen und jedesmal war sie ganz entzückt von ihrer Dummheit. Also Leni, was kannst du noch alles, ich denke wirklich alles. In einem bin ich dir aber voraus, ich kann stenografieren. Dachte ich mir doch gleich, als ich dich davon in Kenntnis setzte, daß du das sofort wenn du zurückkommst, in Angriff nehmen würdest. Also weiterhin viel Spaß und denkt daran, daß auch teilweises Relaxen herrlich sein kann. Viele Bussis an dich und liebe Grüße an David deine Oma