aufbrechen

Man sieht sich immer zweimal im Leben. Das hat sich die Schneekette, die wir im Schlamm zerstört haben, auch gedacht, denn am nächsten Morgen waren wir so eingeschneit, dass wir nicht mehr losfahren konnten. Mit Müh und Not und viel Kabelbinder haben wir dann zumindest die andere Kette noch halbwegs sicher montiert und sind schlitternd und Luft-anhaltend zum Hostel gefahren, in dem wir unsere restlichen vier Ushuaia Nächte verbracht haben. Für die kleine Anhöhe, auf der es steht, haben wir drei Anläufe gebraucht (nach den ersten beiden sind wir – ich kreischend, D lachend – wieder rückwärts zurückgerutscht). Die Autos hier haben alle (verpflichtend) Spikes in den Reifen, deshalb salzen oder streuen sie die Straße auch nicht. Tja.

Die nächsten zwei Tage hält der Schneesturm an und man kann nicht viel machen, weil selbst zufuß gehen sich als Rutschpartie entpuppt. Wir nutzen die Zeit, sämtliches Gepäck aus dem Auto in das winzige Hostelzimmer zu räumen und strategische Pläne zu entwerfen, wie wir den ganzen Krempel in unsere Taschen packen sollen. Als dann irgendwie doch alles verstaut ist, stellen wir fest, dass wir unmöglich alles aufeinmal tragen können, verschieben die Lösung dieses Problems aber auf später.

All unser Zeug

Am dritten Tag scheint die Sonne. Die Österreicherin in mir schreit „Traumtagerl!“ und wir rasen ins nahegelegene Skigebiet Cerro Castor. Dort sind übrigens außer uns auch noch sämtliche europäische Skinationalmannschaften auf Trainingsalger. Wir haben natürlich weder Skiausrüstung noch geeignete Kleidung mit, deshalb basteln wir: Die Regenhose über der Trekkinghose und den Kletterhelm über der Haube, dazu noch die Sonnenbrillen als Skibrillenersatz watscheln wir zum Skiverleih und sehen ziemlich bescheuert aus. Ist uns aber egal und wenig später wedeln wir auch schon die frisch präparierten Hänge hinunter. Übrigens ist der argentinische Peso beinahe über Nacht um 30% gefallen und plötzlich sind selbst die Skikartenpreise ein Witz.

Am nächsten Tag, immer noch sonnig, machen wir eine Bootstour zu den nahegelegenen „Islas de los Lobos“ und die machen alle gen Süden gezogenen Pinguinschwärme wieder gut: Sie sind nämlich von riesigen, flätzenden, knurrenden, Kopf-in-die-Luft-reckenden Seelöwen bevölkert. Ich bin wahnsinnig glücklich und habe eine neue Lieblingstierart.

Am letzten Tag müssen wir uns ernsthaft mit dem Problem Koarl auseinandersetzen, das wir bis jetzt vor uns hergeschoben haben. Wir haben keinen Käufer für den Guten gefunden und selbst der Versuch, ihn zu verschenken, ist missglückt. Ihn an einen Argentinier zu verkaufen oder zu verschenken ist illegal, an einen Mechaniker, der ihn in Einzelteile zerlegt, auch. Wir greifen zur letzten Möglichkeit und entschließen schweren Herzens, ihn auf der Straße zurückzulassen. Zuerst gehen wir dafür zum Zollamt und fragen, was das für Konsequenzen hat. Wir haben ja eine temporäre Erlaubnis, mit dem Auto das Land zu bereisen, die aber in ein paar Monaten abläuft und besagt, dass der Koarl da wieder aus Argentinien draußen sein muss. Die Dame dort erklärt, dass es in Feuerland offiziell nicht möglich sei, ein Auto zurückzulassen, da es eine Insel ist und strengere Zollbedingungen als das Festland hat. Wir erklären ihr, dass wir weder Zeit, noch die Möglichkeit haben, zurück nach oben zu fahren, da immer noch sehr viel Schnee liegt und unser Flug nach Buenos Aires am nächsten Tag geht. Sie runzelt die Stirn und nach kurzem Überlegen bellt sie uns ein „Wait here!“ zu. Sie verschwindet irgendwo nach hinten und nach einigen Minuten kommt auf unserer Seite der Glasscheibe durch eine Tür, schnappt mich am Arm und zieht uns vor das Amt nach draußen. Dort beschreibt sie uns unsere zwei Möglichkeiten: Entweder, wir führen das Auto offiziell in Argentinien ein, das wird jedoch mit 100% des Neupreises des Autos besteuert. „This is no option“, sagt sie in fachmännischer, strenger Art. Die zweite Möglichkeit ist, das Auto dazulassen, heimzufahren und das temporäre Zolldokument einfach nicht offiziell zu canceln. Sie sagt, das würden viele tun, weil es wohl vielen so geht wie uns. Die Polizei würde in zwei, drei Jahren merken, dass das Auto nicht mehr bewegt wird und schließlich würde es in Staatsbesitz übergehen und verschrottet werden. Das hat, so erklärt sie uns, keine Konsequenzen für uns, da die Migrationsbehörde und die Zollbehörde unabhängig voneinander sind. Außerdem wäre es nur dann problematisch, wenn wir nach Ablaufen des Zolldokuments mit dem Auto rumfahren würden oder damit das Land verließen. Aktiv gefahndet wird nach abgelaufenen Zolldokumenten nicht. Ein bisschen mulmig ist uns dabei irgendwie schon zumute aber wir können eh nichts anderes machen. Am nächsten Morgen fahren wir im Koarl zum Flughafen und parken ihn dort mit herrlichem Blick über den Beaglekanal, die Stadt und die Ausläufer der Anden, schrauben die Kennzeichen ab und gehen.

Am Anfang der Reise…
… vs. am Ende

Ich bin immer noch ein bisschen traurig, dass wir ihn einfach so ausgesetzt haben und glaube, man darf Autos keine Namen geben. Machs gut, Koarl. Bist a Guada.

Ushuaia bei Sonnenaufgang
Leuchtturm im Beaglekanal

2 responses for aufbrechen

  1. Anonymous sagt:

    Meine zwei Lieben, ich freu mich auf Euch.
    Der Blog wird mir fehlen. Lena vlt machst du einen Diary Blog ab Ankunft daheim. Dem Koarl wirds bestimmt gefallen auf dem Flughafen mit Ausblick. Er ist in Pension gegangen.

  2. John sagt:

    Schöne Geschichte, lieben Dank dafür!!!
    Ich hoffe alles läuft gut im old örip
    John