unten
Wir haben Ushuaia erreicht. Wir sind über 15.000 Kilometer gefahren, von Autobahn bis Schotterweg, haben unendlich oft getankt und noch mehr Aussichtspausen gemacht, haben geflucht, geweint, gestaunt, gejubelt. Von der Karibikküste bis nach Feuerland, von tropischer Hitze bis Schneesturm, von Bikini bis lange Unterhose. Und jetzt sind wir da. Wir sind unten. Der Kontinent ist hier zu Ende.
Das Gefühl, dass wir keinen weiteren Tag mehr Autofahren werden hat uns noch nicht erreicht. Das Wettertief allerdings schon. Mit fingerdicken Schneeflocken erreichen wir Ushuaia, und flüchten uns in ein Apartment im Stadtzentrum. Vor wenigen Tagen sind wir nach Feuerland gekommen. Feuerland ist einer dieser geflügelten Begriffe, der mir immer wieder, wenn ich ihn gehört habe, ein bisschen Fernweh gegeben hat. Und jetzt sind wir da, wir haben eine winzige Fähre über den dünnsten Teil der Magellanstraße genommen und sind tatsächlich da. Und es ist, wie die meisten geflügelten Orte, überraschend fad.
Flacher als Patagonien fahren wir durch eine von Gauchos und Schafen beherrschte Ebene. Gauchos sind die Cowboys hier, sie reiten auf winterfelligen Pferden, sind von einer Hundewolke umgeben und haben kesse Hüte auf (die aber eher wie Baretts ausschauen). Außerdem schauen sie ernst und wettergegerbt drein und wohnen im endlosen Nirgendwo in ihren Estancias. Im Meer springen Delfine und im Sommer gibt es unzählige Seelöwen und Pinguine. Zu meiner großen Enttäuschung sind die aber momentan weiter im Süden und kommen erst im Oktober wieder.
Auf dem Weg von Punta Arenas nach Ushuaia gibt es ein Schiffswrack, auf das man bei Ebbe klettern kann. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen und entschließen uns deshalb, den 100km Umweg über eine kleine Landstraße zu nehmen. Ich glaube ja mittlerweile, dass wir eine Art eingebautes Radar für Gatsch haben. Er scheint uns sirenenhaft anzuziehen und wenn es vier gute Straßen gibt und eine schlechte, dann nehmen wir ziemlich sicher die schlechte. Vielleicht kann man damit zu „Wetten, dass…“ gehen oder so. Auch diesmal konnten wir seinem Ruf nicht wiederstehen und sind auf halbem Weg zum Schiffswrack fast stecken geblieben. Wir werden allerdings auch gescheiter mit jedem Problem und haben zwar kein Wachs für die Ohren aber dafür Schneeketten mit. Stolz springen wir, von verdutzt schauenden Kühen umgeben, aus dem Auto, bevor wir komplett stecken, knien uns in den Dreck und fummeln die Ketten rauf.
Kopfschüttelnd fahren zwei Gauchos im Toyota Hilux vorbei. Mit den Schneeketten schaffen wir es, zu wenden und das schlimmste Stück wieder zurückzufahren, dann bricht die linke, wir nehmen sie runter und fahren nur mit der rechten weiter. Das Schöne am Ende der Reise ist, dass uns alles ein bisschen wurscht geworden ist. Wir werden die Schneeketten nie wieder verwenden und vermutlich wird auch der Koarl keine solche Straßen mehr überwinden müssen. Es ist egal, wenn wir was kaputt machen, von hier können wir notfalls auch zum Flughafen wandern. Wir schaffens ganz alleine wieder aus dem Matsch raus und sind stolz auf uns, weil wir uns von eigentlich nichts mehr stressen lassen.
Überhaupt ist alles ein bisschen anders als am Beginn unserer Reise: Anfangs haben wir den Koarl noch beim Schlafen abgesperrt, mittlerweile lassen wir den Schlüssel stecken wenn wir weggehen. Wir sind cooler geworden, was fast alle Dinge betrifft wie zum Beispiel das dauernd stockende Olivenöl (weil es zu kalt ist in unserem Kofferraum), den nicht-existenten Handyempfang, das Aufsitzen bei Bodenwellen, das Knarzen bei Schlaglöchern. Recht stoisch denken wir uns meistens nur „Jo, mei“ und drehen die Musik lauter. Das ist angenehm und ich wünschte, es wäre von Anfang an so gewesen.
Jetzt liege ich auf dem Bett im Warmen, trinke Bier und schaue dem weihnachtlichen Wetter zu während D mit dem Campingkocher Wäsche trocknet. Wir haben noch eine Woche hier und überlegen, Skifahren oder Langlaufen zu gehen. Oder einen Schneemann zu bauen. Vor allem aber machen wir uns keine Sorgen mehr, dass die Straße unbefahrbar sein könnte wenn wir weiterwollen. Von mir aus kann sie in der Mitte auseinanderbrechen, wir sind nicht mehr auf sie angewiesen.
Der Sprung in unserer Windschutzscheibe hat übrigens eine 180 Grad Wende gemacht und läuft wieder zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist – jetzt ist wirklich Zeit, nach Hause zu fahren.
Meine 2 Lieben, am besten gefällt mir der Satz „es ist Zeit nach hause zu fahren“
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Ich werde nämlich schon sentimental bei jedem Satz und möchte euch einfach umarmen, abbusseln und streimin.