der kleine süden
Puerto Montt ist keine schöne Stadt. Lachsfarmen haben die Region bis vor einigen Jahren zu einem gewissen Wohlstand verholfen bis eine Krise nach der anderen die Industrie hat nahezu zusammenbrechen lassen. Nun besteht die Innenstadt aus vernagelten Geschäften und ungepflegten Gehsteigen. Die Radwege sind zwar baulich von der Straße getrennt aber voller Glasscherben. Doch all das ist uns nicht wichtig, in Puerto Montt gibt es nämlich Fahrradketten und davon brauchen wir ganz dringend eine. Am Tag nach unserer Fährenfahrt statten wir Lenas Rad mit einem goldenen Bling-Bling Accessoire aus und brechen auf in Richtung Norden.
Die erste Tagesetappe führt uns an den Lago Llanquihue (gespr.: jan-KI-ue), Chiles zweitgrößten See im Schatten dreier Vulkane. In einer herrlichen Cabaña verbringen wir die Nacht und haben Ausblick auf den Vulkan Osorno. So wie alle Exemplare muss sich auch dieser mit dem klassischen Prototypvulkan Fuji in Japan vergleichen lassen aber das meistert er prächtig. Am nächsten Tag fahren wir weiter nach Puerto Varas.
Die Region Chiles, durch die wir nun fahren nennt sich „kleiner Süden“ und ist besonders geprägt durch die deutsche Besiedlung seit dem 19. Jahrhundert. In Cafes wird Kuchen, Streusel und Torte serviert, es gibt eine deutsche Schule und auf den Feuerwehrautos steht „Feuerwehr“ (das liegt daran, dass die Deutschen nicht nur ihr Vereinswesen sondern auch ihre Liebe zur freiwilligen Feuerwehr mitgebracht haben). Außerdem haben sich durch den Sprachkontakt die Lexika vermischt um auf der einen Seite „Launa-Deutsch“ und auf der anderen „Alemañol“ hervorzubringen. (Für eine nähere Beschreibung inklusive Konjugation des Verbs „anmeldearse“ HIER)
Puerto Varas und Valdivia gelten als die Städte Chiles mit der höchsten Lebensqualität und wir fühlen uns unheimlich wohl. Nach einer langen Zeit im Nirgendwo tut es gut, wieder in belebteren Gegenden unterwegs zu sein. Auf der Carretera Austral gab es in den Minimärkten zwar immer Ersatzhufeisen zu kaufen, Wollwaschmittel oder Feldsalat aber nicht. Wir verstehen, warum sich die deutschsprachigen Siedler hier niedergelassen haben: Die ganze Gegend sieht so aus wie Österreich oder Süddeutschland, abgesehen von den herumrennenden, handtellergroßen Taranteln und den Vulkanen. Was die Vulkane angeht: Meistens sind die friedlich, manchmal bricht aber der eine oder andere aus, so wie zuletzt der Calbuco 2015 (für Bilder vom Ausbruch: HIER).
In Puerto Varas nehmen wir uns ein Mietauto und fahren zum Cochamo Valley, einem vielgepriesenen Wander- und Klettergebiet, etwa einhundert Kilometer südwestlich. Cochamo wird, wegen seiner steilen Granitformationen häufig mit dem Yosemite-Nationalpark in Kalifornien verglichen (so ähnlich wie bei Osorno und Fuji) und voller Erwartung beginnen wir die Wanderung ins Tal hinein. Der Blick wäre wirklich eindrucksvoll, würde man jemals durchs dichte Blätterdach sehen können. Auf dem 13 Kilometer langen Pfad gibt es nur ein oder zwei Lichtungen mit Weitblick, der Rest ist Urwald. Dafür ist die Gegend sehr wild und ursprünglich. Am Campingplatz „Trawen“ campen wir mit Aussteigern und Kletterern (sowie Aussteiger-Kletterern), die vormittags aufbrechen um eine der Granitwände zu belagern.
Am nächsten Tag planen wir in der Früh eine kleine Wanderung, um danach zurück ins Tal zu spazieren. Die Campingaufseherin (selbst eine Aussteigerin) empfiehlt uns den Pfad zum „Anfiteatro“ einem gigantischen Granitkessel der einen amphitheaterartig umgibt. Sie brauche nur eine Stunde dafür, die Wanderung sei was nettes kleines für die Früh. Das war eine glatte Lüge. Zu allererst sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Lena und ich es gewohnt sind, normale Zeitangaben für Radtouren und Wanderungen um 20 bis 30 Prozent zu unterbieten. Es geht wohl vielen jungen Leuten so, immerhin sind diese Angaben eher pessimistisch gehalten, um Überlastung und Überschätzung zu vermeiden. Voller Selbstbewusstsein machen wir uns also morgens auf den Weg, nur um uns in einem undurchdringlichen Dschungel wiederzufinden. Die letzten zwei Wochen hat es geregnet, alle Bäche sind daher reißende Ströme und der Pfad vielerorts mit dichtem Bambus überwachsen.
Beim Balancieren über die brückenartigen Baumstämme, die Täler und Bäche überspannen geht mir die Warnung am Parkeingang durch den Sinn: Keine Bergwacht, kein Rettungsdienst – man ist für seine eigene Sicherheit verantwortlich. Im Notfall wandern die kiffenden Aussteiger und Zeltplatzbetreiber los und tragen einen ins Tal. Na toll. Am Abend zuvor hatte uns jemand erzählt, dass in diesem Sommer erst zwei Leute zu Schaden gekommen sind. Der erste sei zu Tode gestürzt und die zweite wurde an der Hüfte von einem herabstürzenden Eisblock begraben. Der Eisblock war aber gar nicht so schlimm, nur beim Versuch, sie mit einem Messer freizuhacken hat man ihr in den Oberschenkel gestochen. Dann wurde es wohl ungemütlich und die „Retter“ haben sich entschlossen, per Funk einen Militärhubschrauber anzufordern.
Zurück zum „Anfiteatro“: Wir brauchen am Ende vier Stunden zurück zum Zeltplatz „Trawen“ und sind nun in einer Mordseile. Wir hatten uns nämlich am Parkausgang mit M und R verabredet, einem deutschen Pärchen, die wir am Zeltplatz kennengelernt hatten. Also schnell zusammengepackt und zurück auf den Wanderweg. Am Ende waren wir acht quälende Stunden unterwegs und konnten unsere Füße nicht mehr spüren, wir werden langsam alt.
Meine Zwei, wie die Zeit vergeht, nur noch 2 Resturlaubswochen. Ich wünsche euch noch wunderschöne Tage und viele Abenteuer ohne Gatsch und Regen. Bussi
Ich habe den Fehler gefunden! Das weißer Haus ist rot! Stimms?