paradies: fahrrad

Man kann das Meer nicht vom Himmel unterscheiden und den Nebel nicht vom Rauch der Holzöfen. Alles ist in eine sanftes, beinahe gutmütiges Grau gehüllt, das durch ein Fenster vor einem dieser Öfen sitzend fast lauschig wäre. Befindet man sich allerdings selbst innerhalb des Graus und versucht, ihm mit einer pinken oder gelben Jacke zu trotzen, dann ist es eher so mittel gemütlich.

Vieles ist herausfordernd an Radreisen und oft muss man sehr flexibel sein, um nicht durchzudrehen. Auch an den Tagen, die man so gut geplant hat und an denen auf dem Papier (bzw auf komoot) alles so einfach aussieht. Es regnet und regnet und regnet weiter, wir reduzieren die tägliche Distanz auf 40-50km, das sind 3-4 Stunden, so lange halten unsere Regenjacken durch bis sie undicht werden. Wir hangeln uns von Dorf zu Dorf, versuchen Regenfenster abzuschätzen, beobachten Wolkenbewegung auf windy, fragen so so so viele Male ob wir später aus- oder früher einchecken können.

Es ist frustrierend und anstrengend; Das Fahren selbst, aber auch das Abwarten, das in Zimmern von verschiedener Größe und in verschiedenem Wärmegrad Liegen, die bis zum Boden reichenden grauen Wolken, die jede Sicht auf die umgebenden Berge versperren. Ich weiß, dass ich mich in Wien oft nach Tagen wie solchen sehne, an denen die Zeit lang und klebrig wird und man nach dem Aufwachen noch eine Stunde liegen bleibt und Zeitung liest. Hier kommt mir das allerdings wie Zeitverschwendung vor, hier habe ich das Gefühl, es gibt so viel zu sehen und zu tun und ich bin einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und muss dauernd auf Irgendwas warten. Es gibt so viele Pausentage, die wir nicht machen, weil wir müde sind sondern weil Wind und Wetter uns vom Weiterkommen abhalten. Das macht mich unrund und aggressiv und verschiedene Leute müssen sich das dann in langgezogenen Ferntelefonaten anhören und es kommt nicht selten vor, dass sie mich fragen, warum ich das eigentlich mache.

Es gibt jetzt nur noch Selfies weil ich keine Lust mehr habe, Bilder vom Regen zu machen

Irgendwann erreichen wir dann doch Chaiten, von wo es noch etwa 200km nach Puerto Montt, und damit an das offizielle Ende der Carretera Austral sind. Lange diskutieren wir, ob wir diese letzten 3 Tage mit dem Fahrrad zurücklegen oder doch auf die 9 stündige Fähre umsteigen. Nach vielem Überlegen entscheiden wir, nicht den einfachen Weg zu nehmen sondern weiterzuradeln und sind ob des langsam besser werdenden Wetterberichts und nach zwei Tagen Pause in einer winzigen Cabaña motiviert, endlich wieder unterwegs zu sein. Frohgemut radeln wir los, es geht schnell und flüssig – bis nach 15km meine Kette reißt. Diese hat in den letzten Tagen schon gesponnen, mehrere Glieder sind steif geworden und ließen sich nicht mehr bewegen. Am Tag zuvor habe ich zwei davon ausgetauscht und die restlichen mit WD40, Fett und gutem Zureden wieder halbwegs mobil gemacht. Irgendwas scheint da aber generell im Argen zu sein, denn nachdem wir sie wieder zusammengebastelt haben, reißt sie nach 20 schmierigen Fingern und einem weiteren Kilometer erneut.

Wir geben auf und entscheiden, umzudrehen und doch die Fähre zu nehmen (man muss anmerken, dass das nächste Fahrradgeschäft in Puerto Montt ist und mir die Idee, 200km mit einer defekten Kette zu fahren, keine besondere Freude bereitet). Wir kehren also um und fassen unser nächstes Projekt ins Auge: 15km ohne Kette zurückzulegen, innerhalb von eineinhalb Stunden (denn dann erwischen wir das Schiff noch). Ich rollere, schiebe, lasse mich von David ziehen, lege mich aufs Rad um keinen Luftwiderstand zu erzeugen und winke verzweifelt den selten passierenden Autos zu. Keiner nimmt mich mit. Manchmal vergesse ich, dass ich keine Kette mehr habe und fange aus Reflex an zu treten, natürlich ohne Widerstand und immer wieder hauts mich dann fast vom Rad.

Dann endlich kommt mir ein Pickup entgegen, der meine Misere zu erkennen scheint, allerdings in die falsche Richtung fährt. Es ist ein Straßenarbeiter und auf die Nachfrage, wohin ich wolle, wendet er und bringt mich zurück nach Chaiten, nicht ohne anzumerken, dass er mich für ein bisschen loco hält, mit meinem Fahrrad bei dem Wetter rumzugurken.

Da erwischen wir dann tatsächlich auch noch die Fähre und machen uns zusammen mit 4 Lastern voller Kühe, etwa hundert chilenischen Familien, die essenstechnisch ausgestattet sind, als hätten sie vor, den Pazifik zu überqueren und unseren 2 Mittagssandwiches schaukelnd auf den Weg nach Norden und schauen dem Regen dabei zu, wie er uns nicht durchnässt.

Tetriskühe

Ich würd jetzt gern mit einer Lebensweisheit aufhören, sowas wie „an Frustration wächst man“ oder allen Lesenden das Gefühl geben, wir haben trotzdem die Zeit unserers Lebens. Aber irgendwie hab ich das Gefühl, es ist auch mal ok wenn nicht alles rund läuft, wenn man fluchen will und schimpfen, wenn man in sein Zimmer zuhause möchte und Sachen essen, die man kennt, und drinnenbleiben wenn es draußen regnet, wenn es einen nervt, dass immer alles anders ist als man es geplant hat und wenn man sich über die ganze Welt ärgern kann. Auch im Urlaub. Und wir wissen auch beide, das geht bald vorbei, wir haben immer noch Lachanfälle, Brunches an Pausentagen, lustige Youtubevideos und Twitteraccounts und schöne Gespräche mit anderen durchnässten Radreisenden. Gehört alles dazu, ist alles gut.

Und dann endlich klart es auf

4 responses for paradies: fahrrad

  1. Tom sagt:

    Moi, ich schicke euch viele 🥰

  2. Ach Leni, ich habe erst heute deinen Bericht gelesen und ich bin traurig, daß ihr soviel Frust habt. Am Liebsten würde ich schlafen und erst wieder aufwachen, bis ihr wieder daheim seid. Die ganze Weltenlage nervt mich. Tut euch sowas bloß nicht mehr an. Wie geht’s eigentlich David nach seiner Tollwutimpfung. Hoffentlich wird das. WETTER bei euch bald wieder besser. Alles Lieme Oma

  3. Mami sagt:

    Ojemine, erst jetzt hab ich diesen Beitrag gelesen. Meine Kämpferin!!! Da hilft es, wenn man das Leid teilen kann. Wünsche euch bessere Wetter, Sonne, Sonne, ☀️☀️☀️

  4. Susi sagt:

    Du Arme! Schimpfen, Fluchen, Jammern ist völlig in Ordnung, und auch gut. Ganz viele 🤗 und vor allem Sonne, Sonne, Sonne!